Sie starrte aus dem Fenster, die Hände auf dem Bauch, in dem sie das neue Leben spüren konnte.
Der Schnee fiel immer noch heftig und häufte sich dort, wo der Wind ihn fallen ließ. Eine glitzernde Welt; kalt, so kalt. Und weiß, weißer als ihr Gesicht.
Sie wäre nie in der Lage, durch dieses Wetter zum Dorf zu gehen, selbst wenn sie das kleine Haus verlassen konnte. Es gab keine andere Möglichkeit als auf ihn zu warten, das wusste sie tief in ihrem Inneren.
Aber warum brauchte er so lange?
In gutem Wetter war es ein 25-minütiger Spaziergang den Berg hinunter bis zum Dorf. In diesem Wetter? Diesem Schnee? Es würde natürlich länger dauern. Zwei Stunden. Vielleicht auch drei.
Aber er war nun schon sechs Stunden dort draußen.
Nicht mehr lange und es würde dunkel sein.
War ihm etwas passiert? War er verletzt? Oder war er im Dorf geblieben, in dem Wissen, dass er nicht in der Lage sein würde zurück zu kommen? Aber er hatte versprochen zu kommen, geschworen hatte er es ihr.
Das Wetter würde für zwei, vielleicht noch drei Tage nicht besser werden. Es war einer der schlimmsten Schneestürme seit Jahrzehnten, hatten sie im Radio gesagt.
Falls er nicht kam… und sie konnte nicht aus dem Haus… würde sie hier langsam sterben, aus dem Fenster heraus sehend? War dies das Resultat ihrer Taten?
Das Schlimmste war, nicht zu wissen, was passieren würde. Sie fürchtete den Tot, aber noch mehr fürchtete sie die Ungewissheit, die durch ihre Venen rann.
Es wurde bereits dunkel. Der Mond musste am Himmel stehen, ein Vollmond mit seinem blassen aber kräftigen Licht. Doch die Wolken aus dunklem Grau, wie gepresste Wolle eines Schafes, verrieten nichts davon. Wenn die Sonne hinter dem Berg versank würde der Schnee alles verbliebene Licht aufsaugen. Niemand würde in weniger als einer halben Stunde in der Lage sein, den Weg in diesen Wäldern zu finden.
Und er war immer noch nicht hier. Obwohl er es versprochen hatte.
Und dann war er da. Zuerst misstraute sie ihren eigenen Sinnen, dachte, der wirbelnde, kalte Schnee spielte ihren Sinnen Streiche. Doch die gebückte Figur kam näher, wurde größer und abgegrenzter. Die Figur hielt ein Gewehr in einer Hand und hatte einen Rucksack auf den Schultern. Er war es! Er hatte es doch zu dem kleinen Haus auf dem Berg geschafft. In diesem schlechten Wetter!
Sein Rucksack polterte auf den Boden, gefolgt von Schnee, der leise von seinem Rucksack und ihm selbst glitt. Heftig atmend streckte er sich und sah erst dann zu ihr.
“Ich bin wieder da”, sagte er, seine blauen Augen auf ihr Gesicht gerichtet und dann auf ihren runden Bauch.
“Ich dachte, du würdest nicht kommen, dass du dich im Schnee verirrt hast”, war ihre Antwort.
“Ich habe es versprochen, oder? Dass ich zurück kommen und dir dann geben würde, was du verdient hast.”
Er öffnete den Rucksack und nahm eine Packung Patronen heraus.
“Zu schade, dass wir keine mehr übrig hatten. Das wäre viel schneller gewesen.”
Er lud das Gewehr und schaute ihr in die Augen.
“Ich sehe, du hast nicht einmal versucht, die Ketten zu öffnen?”
“Du hast das Schloss zerstört”, lachte sie verzweifelt. “Wie hätte ich das tun sollen?”
“Und du möchtest immer noch nicht sagen, wohin der Kerl geflohen ist, der meiner Frau ein Baby gemacht hat?”
“Nein. Es ist meine Schuld. Also werde ich die Verantwortung allein tragen.”
“Wenn das dein letzter Wunsch ist.”
Er zielte mit dem Gewehr dorthin, wo er das Herz des Babys vermutete. Ein paar Brocken Schnee fielen von den Bäumen, als der Schuss durch den stillen Wald hallte.